Sozietätsverbot von Anwälten und Ärzten - laut BVerfG verfassungswidrig
Rechtsanwälte sind längst nicht mehr Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten (§ 1 Absatz 3 BORA). Dieses Rollenbild ist in zweifacher Hinsicht überholt.
- Erstens wird das Recht im Gleichschritt mit dem Leben des 21. Jahrhunderts immer komplexer, sodass der Allgemeinanwalt als Berater in allen (sic!) Rechtsangelegenheit schrittweise durch den Spezialisten abgelöst wird.
- Zweitens erwarten Mandanten, dass die Perspektive ihre Rechtsanwälte sich nicht auf Rechtsfragen beschränkt. Sie erwarten Branchenkenntnisse und anderes Sonderwissen. Gerade diese zweite Punkt stellt die Anwaltschaft vor eine große Herausforderung.
Bislang war dies gemäß § 59a Absatz 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) verboten. Zur Begründung wurde etwa die anwaltliche Schweigepflicht ins Feld geführt. Was wäre, wenn ein Rechtsanwalt schweigen, sein Mitgesellschafter aber reden müsste?
Die in verschiedenen Kanzleien tätigen Berliner Rechtsanwälte Yves Wiemann und Dr. Stephan Gärtner beraten Berufsgeheimnisträger bei der Gestaltung interner Rechtstreuesysteme (Compliance) und verhindern so, dass sich Mandanten strafbar machen. Beide haben nun eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss des 1. Senats vom 12. Januar 2016 – 1 BvL 6/13) gelesen, die die o.g. Glaubenssätze in Frage stellt.
Dr. Gärtner: Hallo Herr Kollege. Hast Du schon die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Sozietätsverbot gelesen?
Yves Wiemann: Hallo Herr Kollege, selbstverständlich und mit vollster Spannung. Das in § 59a Abs. 1 BRAO für Rechtsanwälte enthaltene Verbot, sich beruflich zur gemeinschaftlichen Berufsausübung mit Ärzten und Apothekern zu verbinden, sei nach Überzeugung des Senats mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Vorschrift greife in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit ein und erfülle nicht die Voraussetzungen, unter denen eine derartige Berufsausübungsbeschränkung nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zulässig sei. Diese Entscheidung ist vor allem im Interesse eines Mandanten/Patienten absolut zu begrüßen.
Dr. Gärtner: Ich berate immer wieder Kollegen, die schon sehr gern mit Ärzten kooperieren würden, um ihren Mandanten ein breiteres Beratungsspektrum anbieten zu können. Umgekehrt natürlich genauso. Aber abseits des Sozietätsverbots i.S.v. § 59a BRAO, hatten wir auch immer wieder die Herausforderung der Schweigepflicht. Dabei gibt es da zwischen Ärzten und Anwälten doch nicht so gravierende Unterschiede?
Yves Wiemann: Absolut korrekt. Sinn und Zweck der Regelung des § 59a BRAO sei es, im Interesse einer funktionsfähigen Rechtspflege, insbesondere im Interesse des rechtsuchenden Publikums, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und den besonderen Schutz zu gewährleisten, den das Mandatsverhältnis durch die in § 43a BRAO normierten Grundpflichten des Rechtsanwalts, die flankierenden Straf- und Strafverfahrensvorschriften sowie durch die Aufsicht der Rechtsanwaltskammern erfahre. Bei den das Mandatsverhältnis in diesem Sinne prägenden Pflichten handele es sich insbesondere um die Pflicht zur Verschwiegenheit (§ 43a Abs. 2 Satz 1 BRAO) sowie um das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO).
Die ärztliche Schweigepflicht und die Pflicht des Apothekers zur Verschwiegenheit seien, ebenso wie bei den als sozietätsfähig aufgezählten Berufsgruppen des § 59a BRAO, strafbewehrt und flankierend durch die korrespondierenden Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechte sowie das korrespondierende Beschlagnahmeverbot (§ 97 StPO) geschützt. Allein das Beweiserhebungs- und Beweisverwendungsverbot in § 160a StPO statuiere für Rechtsanwälte ein höheres Schutzniveau als für Ärzte und Apotheker. Nachdem aber auch die in § 59a Abs. 1 BRAO genannten sozietätsfähigen Berufsgruppen nur den Schutz des § 160a Abs. 2 StPO und damit kein höheres Schutzniveau genössen als die nach § 59a Abs. 1 BRAO nichtsozietätsfähigen Ärzte und Apotheker, sei kein tragfähiger Differenzierungsgrund gegeben.
Dr. Gärtner: Ich finde v.a. bemerkenswert, dass das Bundesverfassungsgericht einem Arzt selbst dann Schweigerechte und –pflichten zubilligt, wenn sie „nur“ beratend tätig sind. Im Beschluss heißt es etwa: „Die selbständige Ausübung des ärztlichen Berufes setzt nicht voraus, dass die Heilkunde in Form der Heilbehandlung am Menschen ausgeübt wird, sondern umfasst die gutachterliche und fachlich beratende Tätigkeit der Ärztin oder des Arztes für Patientinnen und Patienten in gleicher Weise. Dies folgt aus der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden und damit für den Senat maßgeblichen Rechtsprechung der Fachgerichte, die auch dem Vorlagebeschluss zugrunde liegt.“Was meinst Du?
Yves Wiemann: Lieber Stephan, dies ist vor dem Hintergrund des möglichen Beginns eines Behandlungsvertrages zwischen Arzt und Patient i.S.d. § 630a BGB bereits mit der ersten telefonischen Kontaktaufnahme nur die logische Konsequenz. Wenn der behandelnde Arzt beispielsweise bereits im Rahmen einer Beratung über wesentliche Begebenheiten fehlerhaft beraten hat und sich so möglichen Haftungen ausgesetzt hat, so erscheint es geradezu augenscheinlich das Schweigerecht – auch aus Sicht des Arztes – bereits in diesem frühen Stadium anzunehmen.
Dr. Gärtner: Ich selber begrüße die Entscheidung. Ich würde gern sehen, dass der Gesetzgeber nun weiter nachsteuert; auch wenn die strafrechtlichen Fragen bleiben werden. Oder was meinst Du?
Yves Wiemann: Das sehe ich genauso. Eine strafrechtliche Frage ist sicherlich die des § 203 StGB (Verletzung von Privatgeheimnissen). Für Gegenstand und Umfang der Verschwiegenheitspflicht ist – nicht anders als bei ärztlicher Tätigkeit – auch für Apothekerinnen und Apotheker das Anvertrauen oder Bekanntwerden von Umständen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit maßgeblich. Ist in diesem Sinne die berufsspezifische Konnexität gegeben, so haben Apotheker bei gemeinsamer Berufsausübung mit Rechtsanwälten insbesondere über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse ebenso berufliche Verschwiegenheit zu wahren wie über Umstände des Auftraggebers, die ihnen nicht direkt, sondern mittelbar über die anwaltlichen Partner bei der beruflichen Zusammenarbeit anvertraut werden.
Neben der Verschwiegenheitspflicht ist sicherlich ebenfalls die Möglichkeit der Zeugnisverweigerung beim potentiellen Offenbaren von Tatsachen über Mandanten/Patienten, welche der jeweils anderen Berufsgruppe mittelbar durch die Zusammenarbeit bekannt geworden sind, ein spannendes Feld. Darüber sollten wir mal ein Seminar halten.
Welche geradezu perfekte Symbiose man nun endlich erreichen könnte, wenn sich in Medizinischen Versorgungszentren nicht nur ein dutzend Arztpraxen zusammenfinden dürfen, sondern im Rahmen partnerschaftsrechtlicher Verbindungen ebenfalls Rechtsanwaltskanzleien wie unsere mit Schwerpunkten des Medizin- als auch des Strafrechts, diese Synergien nutzen könnten und das alles zum Wohle von Mandanten und Patienten, welche sich – und da komme ich auf Deine einleitenden Worte zurück – nun wirklich fachlich, im Allgemeinen und im Speziellen, allumfassend gut beraten fühlen würden und auch dürfen.
Das wichtigste im Überblick:
- Ärzte und Rechtsanwälte können künftig gemeinsam arbeiten.
- Bei einem solchen Zusammenschluss müssen dennoch besondere Schutzmaßnahmen ergriffen werden.