Flucht vor der Polizei stellt kein verbotenes Kraftfahrzeugrennen dar
OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 14. November 2022 – 1 Ss 199/22
Anders als vom LG Osnabrück angenommen, verwirklicht der von der Polizei verfolgte Kraftfahrzeugführer zwar möglicherweise den Tatbestand des verbotenen Kraftfahrzeugrennens in der Alternative des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB (Einzelrennen), eine Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen i.S.d. § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt jedoch mangels Wettbewerbscharakters und Rennabsprache nicht vor.
Nach den Feststellungen des Landgerichts befuhr der Angeklagte am TT.MM.2021 mit seinem Pkw Audi A 4, amtliches Kennzeichen (…), die B 403 in Nordhorn in Richtung Neuenhauser Straße, als ihm ein Streifenwagen, in dem sich die Polizeibeamten BB und CC befanden, entgegenkam. Die Beamten wendeten den Streifenwagen und fuhren hinter dem Angeklagten her. Als der Angeklagte bemerkte, dass die Polizeibeamten ihren Wagen wendeten und hinter ihm herfuhren, beschleunigte er und floh. Dabei missachtete er sowohl das Martinshorn als auch ein Rotlicht, das bereits mehr als 1 Sekunde rot anzeigte und die zulässige Höchstgeschwindigkeit.
Kein Vorliegen eines Kraftfahrzeugrennens:
Das Verhalten des Angeklagten sei auch nicht nach § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar. Um diesen Tatbestand zu erfüllen sei Voraussetzung, dass der Angeklagte an einem Rennen im Sinne der Vorschrift teilgenommen hätte. Ein Rennen im Sinne der Vorschrift setze voraus, dass es sich um einen Wettbewerb oder ein Wettbewerbsteil zur Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen handele, bei dem zwischen mindestens zwei Teilnehmern ein Sieger ermittelt werde. Die besondere Gefährlichkeit von Kraftfahrzeugrennen liege darin, dass es zwischen den konkurrierenden Kraftfahrzeugführern zu einem Kräftemessen im Sinne eines Übertreffenwollens gerade in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit komme. Wesentlich sei mithin bei diesem Tatbestand, dass mindestens zwei Teilnehmer sich gegenseitig übertreffen wollten. Daran fehle es hier, denn jedenfalls die Beamten hätten weder zu dem Angeklagten in Konkurrenz treten noch diesen in Bezug auf die gefahrene Geschwindigkeit im Sinne eines Kräftemessens übertreffen wollen.
Als Teilnehmer an einem Rennen ist zu qualifizieren, wer sich äußerlich den formellen oder informellen Regeln der Veranstaltung im Wesentlichen unterwirft und dabei subjektiv einen Platz im Wettbewerb einnehmen oder das Ziel der Veranstaltung fördern möchte. Die Aufgabe der Polizeibeamten im vorliegenden Fall besteht vielmehr darin das „Rennen” zu verhindern. Somit können Polizeibeamte weder Teilnehmende an einem Rennen sein noch einen Wettbewerbscharakter erzeugen.
Nach alledem kommt deshalb eine rechtliche Einordnung der sog. „Polizeiflucht-Fälle“ als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gemäß § 315d Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht in Betracht.
Allerdings können grundsätzlich „Polizeiflucht-Fälle“ eine Strafbarkeit wegen eines Einzelrennens darstellen:
Voraussetzung hierfür sei, dass es dem Angeklagten bei seinem Handeln darauf ankam nach den situativen Gegebenheiten die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen.
Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass bei den „Polizeiflucht-Fällen“ aus der Fluchtmotivation, nicht ohne weiteres ein Vorsatz abgeleitet werden kann.
Die Absicht des Erzielens einer höchstmöglichen Geschwindigkeit kann auch entfallen, wenn der Kraftfahrzeugführer unwiderlegbar behaupten kann, er sei der Auffassung gewesen, noch schneller fahren zu können, worauf er jedoch verzichtet habe.
Siehe: OLG Oldenburg (Oldenburg), Urteil vom 14. November 2022 – 1 Ss 199/22